Hip Hop in Karlsruhe – BVerfG stärkt Kunstfreiheit für Sampling

25.07.2016

In einer grundlegenden Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 31.05.2016 – 1 BvR 1585/13 – die Rechte der Musiker beim sog. Sampling gestärkt. Es ist von der Kunstfreiheit unter bestimmten Umständen gedeckt, kleine Musiksequenzen von anderen Musikstücken in eigene, neue Musikstücke einzubauen. Damit hob das höchste deutsche Gericht ein Urteil des BGH auf, das eine Übernahme der Sequenzen noch als Urheberrechtsverletzung qualifiziert hatte.

Ausgangsfall:

Der Musikproduzent Moses Pelham hatte im Jahr 1997 einen rhythmischen Beat von einem Track der deutschen Gruppe Kraftwerk mit dem Titel „Metall auf Metall“ in einem Song der Sängerin Sabrina Setlur mit dem Titel „Nur mir“ als Hintergrund-Sound übernommen, genauer gesagt „gesampelt“. Beim sog. „Sampling“ werden Musiksequenzen aus bereits vorhandenen Werken in neue Stücke eingebaut und verarbeitet. Diese Technik spielt vor allem im Hip Hop und in elektronischen Musikrichtungen eine wichtige Rolle. Für die Gruppe Kraftwerk war die Produktion der Sequenz, die sich anhört wie zwei aufeinander prallende alte Metallteile, im Jahr 1977 ohne heutige moderne Technik noch aufwendig, weshalb die Band auch darauf bestand, den Sound nur mit ihrer Zustimmung in andere Musikwerke zu übernehmen. Wer sich die Songs auf YouTube anhört, wird kaum Ähnlichkeiten zwischen den beiden Musikwerken feststellen, allerdings ist der Kraftwerk-Sound im Hintergrund als Rhythmusschleife wahrnehmbar. Der BGH hatte 2012 Kraftwerk Recht gegeben und gemeint, eine derartige Rhythmussequenz dürfe nicht ohne Zustimmung der Urheber verwendet werden. Auch kleinen Musiksequenzen komme grundsätzlich Urheberrechtsschutz zu. Daher sei die Übernahme eines Originals jedenfalls dann unzulässig, wenn sie mit relativ einfachem Aufwand nachproduziert werden könne.

Wie entschied das BVerfG?

Das BVerfG hob das Urteil des BGH auf und verwies die Sache zur Neuverhandlung wieder zurück. Die Untersagung der Übernahme der Sequenz verstoße gegen die Kunstfreiheit. Man müsse das Recht auf geistiges Eigentum der Musikgruppe Kraftwerk abwägen mit dem Recht, durch Übernahme einfacher Rhythmussequenzen im Rahmen der Kunstfreiheit ein neues Musikwerk zu schaffen. Der Eingriff in das Urheberrecht sei vergleichsweise gering und hinzunehmen, wenn ein Verbot praktisch zu einem ernsten Hindernis für eine ganze Musikgattung wie Hip Hop werden könnte. Es dürfe nicht darauf abgestellt werden, ob die Sequenz mit einfachen Mitteln nachgespielt werden könne oder nicht, wenn gerade die Übernahme eines Originals ein wichtiger Bestandteil der künstlerischen Auseinandersetzung sei. Das müsse hier bei der Musikrichtung Hip Hop berücksichtigt werden. Verglichen mit einer solchen Beeinträchtigung sei der damit verbundene Eingriff in das geistige Eigentum gering, insbesondere seien die Absatzinteressen der Band Kraftwerk nicht beeinträchtigt. Dies könne man nur annehmen, wenn das neue Werk praktisch in Konkurrenz zum Ursprungswerk treten würde. Dafür sei aber der zeitliche Abstand zu lang und die beiden Musikstücke zu unterschiedlich. Diese Wertung sei von dem Recht auf „freie Benutzung“ urheberrechtlich geschützter Werke nach § 24 Abs. 1 UrhG gedeckt. Das BVerfG wies aber auch darauf hin, dass der Gesetzgeber künftig dafür durchaus eine Vergütung vorsehen könne, um die Verwertungsinteressen der Urheber zu stärken. Die gegenwärtige Regelung der Benutzung ohne Vergütungspflicht sei aber mit den Grundrechten vereinbar. Das BVerfG gab für den BGH noch den Hinweis, bei einer erneuten Entscheidung auch Vorgaben des europäischen Urheberrechts zu beachten. Das „letzte Wort“ ist also noch lange nicht gesprochen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich auch der EuGH mit dem Fall noch befassen wird.

Praxishinweis:

Das Urteil „Metall auf Metall“ ist ein Grundsatzurteil im Konflikt des grundgesetzlich garantierten Rechts auf geistiges Eigentum in Art. 14 Abs. 1 GG einerseits und der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG andererseits. Das Gericht wägt zwischen diesen Grundrechtspositionen ab und gibt dem Interesse anderer Künstler, „ohne finanzielle Risiken oder inhaltliche Beschränkungen in einen Schaffensprozess im künstlerischen Dialog mit vorhandenen Werken treten zu können“, in dem konkreten Fall den Vorrang. Im Ergebnis ist dem Urteil zuzustimmen. Das Gericht kommt nach Abwägung der widerstreitenden Interessen zutreffend zu dem Ergebnis, dass ein Verbot der Übernahme von Original-Musiksequenzen mit der Kunstfreiheit nicht vereinbar ist, wenn dadurch praktisch eine ganze Musikrichtung beeinträchtigt wird. Im Urheberrechtsgesetz wird der Kunstfreiheit durch das Recht auf „freie Benutzung“ nach § 24 Abs. 1 UrhG Rechnung getragen. In der Praxis ist es oftmals schwierig, die Grenze einer zulässigen Übernahme von Teilen eines Originalwerkes zu ziehen und von einer unzulässigen Bearbeitung, die nach § 23 UrhG der Zustimmung des Urhebers bedarf, abzugrenzen. Wichtig für die Zulässigkeit einer Übernahme ist, dass es Teil einer geistigen oder künstlerischen Auseinandersetzung sein muss und in jedem Fall ein neues urheberrechtlich geschütztes Werk geschaffen wird.

Fazit:

Das BVerfG hat zwar die Kunstfreiheit beim Sampling gestärkt, aber keinen „Freibrief“ für die Benutzung von Ausschnitten aus fremden Musikwerken erteilt. Und trotz Richterspruch aus Karlsruhe ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen.