Gemein oder gemeinfrei? - Repro-Fotos von gemeinfreien Werken urheberrechtlich geschützt

28.07.2017

Das OLG Stuttgart urteilte am 31.05.2017 (4 U 204/16), dass originalgetreue Fotos von gemeinfreien alten Gemälden eigenständigen urheberrechtlichen Schutz genießen. Gemeinfreie Werke sind urheberrechtlich nicht mehr geschützt sind, weil die Schutzfrist abgelaufen ist. In Deutschland endet die Schutzfrist 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. Danach werden die Werke gemeinfrei und können eigentlich zu jedem beliebigen Zweck verwendet werden. Das OLG Stuttgart hat der Verwertung gemeinfreier Werke jedoch Grenzen gesetzt, über die voraussichtlich der BGH entscheiden wird.

Ausgangsfall:

Ein Fotograf veröffentlichte Reproduktions-Fotografien von Werken alter Meister auf Wikimedia Commons, dem Fotoarchiv des Onlinelexikons von Wikipedia. Die Repro-Fotos befanden sich in einem Museums-Katalog der Stadt Mannheim. Der Fotograf scannte diese Bilder ein und lud sie auf Wikimedia hoch. Zum Teil fertigte er selbst originalgetreue Fotografien von Gemälden, die in dem Museum ausgestellt waren. Unter den Bildern alter Meister befand sich z.B. auch ein Portrait des Komponisten Richard Wagner. Die Stadt Mannheim war der Ansicht, dass der Fotograf keine Berechtigung habe, die von dem Katalog eingescannten Bilder und die von ihm selbst hergestellten Fotos auf Wikimedia Commons zu veröffentlichen und verklagte den Fotografen auf Unterlassung. Die Katalogbilder seien zumindest als Lichtbilder nach § 72 UrhG urheberrechtlich geschützt. Daher komme diesen Fotos eigener urheberrechtlicher Schutz zu. Der beklagte Fotograf hielt dem u. a. entgegen, dass bloße Reproduktionsfotografie keinen urheberrechtlichen Schutz zukommen könne. Bei der Reproduktion bestehe die Leistung nur darin, die Vorlage in möglichst identischer und unveränderter Form so abzubilden, wie sie sich im Original darstelle. Es sei aber zulässig, gemeinfreie Werke beliebig zu verwerten und davon beliebig viele Kopien zu schaffen. Das müsse auch für die Reproduktionsfotografie gelten. Andernfalls werde die Gemeinfreiheit der Originalwerke unterlaufen und die Schutzdauer unzulässig verlängert.

Wie entschied das OLG Stuttgart?

Das OLG Stuttgart gab der Stadt Mannheim Recht und bestätigte damit das erstinstanzliche Urteil des LG Stuttgart v. 27.09.2016 (17 O 690/15), ließ wegen der Bedeutung der Rechtsfragen aber die Revision zum BGH zu. Entsprechend hatte auch bereits das Landgericht Berlin in einem Parallelverfahren entschieden (Urt. v. 31.05.2016 – 15 O 428/15). Die im Museumskatalog veröffentlichten Bilder der alten Werke seien ihrerseits urheberrechtlich nach § 72 UrhG als einfache Lichtbilder geschützt. Die Anforderungen seien gering, so dass diesem Schutz auch einfachen „Knipsbildern“ oder mit einer üblichen Handy-Kamera aufgenommenen Fotos zukomme. Es handle sich bei den Fotos nicht nur um eine bloße technische Reproduktion der Gemälde. Die Aufnahme verlange vielmehr technisches Können, weil das Objekt möglichst originalgetreu wiedergegeben werden muss. Zudem spiele die Ausleuchtung und Aufnahmetechnik mit Auswirkungen auf Farbechtheit, Pinselstrich- und Risswahrnehmbarkeit eine wichtige Rolle. Die Gemeinfreiheit der Originalwerke stehe dem nicht entgegen. Die Repro-Fotografien seien nicht nur Vervielfältigungen der – gemeinfreien – Originalwerke. Ihnen komme eigenständiger Urheberrechtsschutz zu, weil eine eigenständige Fixierung der Originalgemälde in eine neue Werkform, nämlich einer Fotografie, erfolge. Das Gericht kam daher zu dem Ergebnis, dass die Stadt Mannheim an den aus dem Museumskatalog eingescannten Bildern ein ausschließliches Nutzungs- und Verwertungsrecht zustehe. Bei den weiter im Museum selbst aufgenommenen Bildern könne die Stadt Mannheim als Eigentümerin der Gemälde jedenfalls aus dem Eigentums- und Hausrecht Unterlassung verlangen, weil das Fotografieren im Museum verboten war. Die Gemeinfreiheit der Werke schließe das Recht am Eigentum der Gemälde nicht aus. Die Gemeinfreiheit beziehe sich nur auf das geistige Werk, nicht auf das Werkstück, über die das Museum als Eigentümer frei verfügen könne.

Praxishinweis:

Das Urteil wirft spannende Fragen zum Verhältnis zwischen der grundsätzlich jedermann gestatteten Verwertung von gemeinfreien Werken und der Verwertung von originalgetreuen Kopien, die selbst ihrerseits urheberrechtlich geschützt sind, auf. Zwar darf einerseits die Gemeinfreiheit von ehemals urheberrechtlich geschützten Werken zum Wohl der Allgemeinheit nicht unterlaufen werden. Wenn aber durch die Reproduktionsfotografie selbst neue Werke geschaffen werden, die ihrerseits urheberrechtlich geschützt sind, dann ist es gerechtfertigt, der Verwertung Grenzen zu setzen. Denn immerhin hat sich der Fotograf in dem Stuttgarter Fall den Aufwand gespart, selbst auf legale Weise originalgetreue Fotos anzufertigen, indem er die Museumsbilder, die von einem anderen Fotografen hergestellt wurden, einscannte und ins Internet stellte. Insoweit ist dem OLG Stuttgart im Ergebnis zuzustimmen. Das Urteil stärkt aber auch die Rechte von Berufsfotografen. Da originalgetreue Fotos von gemeinfreien Werken ihrerseits urheberrechtlichen Schutz genießen, können sie diese Fotos auch eigenständig vermarkten, wobei die abgelichteten Werke als solche gemeinfrei bleiben, also von jedermann für beliebige Zwecke verwertet werden können. Das letzte Wort ist in dem Streit aber noch nicht gesprochen, da sich voraussichtlich der BGH der Sache annehmen wird.