Rote Lippen soll man küssen - Oder warum sich Kreuzfahrtschiffe nach BGH bleibend an einem Ort befinden

28.07.2017

Fast jeder kennt den AIDA-Kussmund auf Kreuzfahrtschiffen, mit denen man gern die Weltmeere bereist. Der BGH (Urt. v. 27.04.2017 – I ZR 247/15) hat jetzt zum Ärgernis des Veranstalters der Kreuzfahrten entschieden, dass das Kreuzschiff mit diesem künstlerischen Motiv fotografiert und für Werbezwecke verwendet werden darf. Dies erlaube die sog. „Panoramafreiheit“, die Fotoaufnahmen von Werken erlaubt, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden. Rechtlich interessant ist dabei die Frage, ob sich auch Kreuzfahrtschiffe „bleibend“ an einem Ort befinden.

Ausgangsfall

Die Klägerin veranstaltet Kreuzfahrten, deren Kreuzfahrtschiffe mit dem sogenannten „AIDA Kussmund“ dekoriert sind. Das Motiv wurde von einem bildenden Künstler geschaffen. Er hat der Klägerin daran das ausschließliche Nutzungsrecht eingeräumt. Der Beklagte bot im Internet Ausflüge bei Landgängen auf Kreuzfahrtreisen an und bewarb dies mit einem Foto des AIDA-Kreuzfahrtschiffes, das in einem Hafen aufgenommen wurde. Die Klägerin verlangte Unterlassung, weil dadurch ihr Recht am „AIDA Kussmund“ verletzt werde. Der Beklagte könne sich nicht auf die Panoramafreiheit berufen, weil sich das Werk nicht bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinde. Das OLG Köln (Urt. v. 23.10.2015 – 6 U 34/15) gab dem Beklagten Recht und meinte, die Panoramafreiheit sei auch auf Werke anwendbar, die mit Fahrzeugen verbunden seien und sich im öffentlichen Raum befänden, ließ wegen dieser offenen Rechtsfrage aber die Revision zum BGH zu.

Wie entschied der BGH?

Der BGH folgt dem OLG Köln und bejaht auch die Voraussetzungen der Panoramafreiheit. Sie ist in § 59 Abs. 1 UrhG geregelt und besagt, dass Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, mit Mitteln der Malerei oder Grafik, durch Lichtbild oder durch Film vervielfältigt und veröffentlicht werden dürfen. Die Regelung dient der Allgemeinheit. Werden Kunstwerke an öffentlichen Orten aufgestellt, so werden sie damit praktisch der Allgemeinheit gewidmet. Dies rechtfertigt eine Einschränkung des Urheberrechts in der Weise, dass jedermann das Werk abbilden und die Abbildungen verwerten dürfe. Dies ist bei künstlerisch gestalteten Bauwerken oder Skulpturen bedeutsam (BGH, Urt. v. 9.3.1989 – I ZR 54/87 – Friesenhaus), setzt aber voraus, dass die Kunstwerke von einem für die Allgemeinheit zugänglichen Ort aus fotografiert werden (BGH, Urt. v. 5.6.2003 – I ZR 192/00 – Hundertwasser-Haus). Das war im Fall AIDA-Kussmund nicht problematisch, weil das Schiff von einem jedermann zugänglichen Hafengelände fotografiert wurde. Spannend war aber die Frage, ob sich das Kreuzschiff „bleibend“ an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befindet. Kein Problem hatte der BGH – wie zuvor schon das OLG Köln – zunächst damit, Wasserstraßen unter „Straßen“ i.S.d. § 59 Abs. 1 UrhG zu fassen. Schwieriger war aber die Frage zu beurteilen, ob sich auch Kreuzfahrtschiffe „bleibend“ an bestimmten Orten befinden, was sie ja normalerweise nicht tun, weil man ihnen ja gern verreisen möchte. Der BGH hatte im Fall „Verhüllter Reichstag“ bereits entschieden und ausgeführt, dass Werke, die nur vorübergehend oder jedenfalls zeitlich befristet an öffentlichen Orten aufgestellt sind – wie dies bei dem verhüllten Reichstag durch den Künstler Christo im Jahr 1995 der Fall war –, sich dort nicht „bleibend“ i.S.v. § 59 UrhG befinden (BGH, Urt. v. 24.01.2002 – I ZR 102/99 – Verhüllter Reichstag), weil es sich um eine befristete Aktion gehandelt hat. Nach BGH bedeutet „bleibend“ nicht ortsfest, sondern dauerhaft, zumindest zeitlich unbefristet (Rn. 33). Ein Werk befindet sich somit auch dann bleibend an öffentlichen Orten, wenn es den Ort wechselt und es sich bei den verschiedenen Orten um öffentliche Orte (hier: Häfen) handelt (Rn. 27). Die Panoramafreiheit ist damit auch auf Werke anwendbar, die sich auf Fahrzeugen wie Straßenbahnen, Omnibusse oder Kreuzfahrtschiffe befinden.

Praxishinweis:

Der BGH stellt mit dieser Entscheidung klar, dass „bleibend“ zeitlich zu verstehen ist. „Bleibend“ im Sinne der Panoramafreiheit nach § 59 UrhG heißt dauerhaft, nicht ortsfest. Diese Auslegung drängt sich bei allgemeinem Sprachgebrach nicht unbedingt auf, da bleibend oft auch im Sinne von ortsgebunden verstanden wird. Die Auslegung hat sich aber auch am Sinn und Zweck der Vorschrift zu orientieren, so dass die Entscheidung im Ergebnis nachvollziehbar ist. Greift die Panoramafreiheit, so dürfen die Aufnahmen auch gewerblich zu Werbezwecken verwendet werden. Es ist daher zulässig, mit dem Foto eigene Produkte zu bewerben oder das Motiv für den Verkauf von Postkarten zu verwenden. Urheber müssen sich also darauf einstellen, dass ihre Werke an Fahrzeugen fotografiert oder gefilmt werden. Für Fotografen und Videoproduzenten verschafft das Urteil neue Verwertungsmöglichkeiten.