Scharfe Kritik in Kundenschreiben kann von Meinungsfreiheit gedeckt sein

17.04.2015

Welche Kritik sich ein Unternehmen in der Öffentlichkeit gefallen lassen muss, ist oftmals Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzung. Der BGH hat entschieden, dass die Meinungsfreiheit weit reicht und auch scharf formulierte Kritik an dem Produkt eines Unternehmens rechtfertigen kann, selbst wenn diese in einem an Kunden adressierten Schreiben enthalten ist.

Ausgangsfall:

Ein Wissenschaftsjournalist versandte zur Vorbereitung eines Artikels ein Schreiben an Kunden eines Unternehmens, um auf angeblichen „Schwindel“ aufmerksam zu machen. Das betroffene Unternehmen stellte Magneten zur angeblichen Einsparung von Energie her. Der beklagte Journalist hielt das für „Betrug“ und war auch sonst in seiner Ausdrucksweise nicht gerade zurückhaltend. Seiner Ansicht nach bewirkten die Produkte keinerlei Energieeinsparung, was das Unternehmen auch wisse. Dies sei „groß angelegter Schwindel“ und die angebliche Wirkung der Magnete „völliger Unsinn“. Zu den „Opfern dieses Betruges“ gehöre auch der Kunde, der auf das „Scharlatanerieprodukt“ hereinfalle. Das betroffene Unternehmen ging gegen den Journalisten gerichtlich vor und obsiegte in erster und zweiter Instanz. Das OLG Frankfurt stufte die Äußerungen in seinem Urteil vom 08.05.2013 – 15 U 16/13 – als unzulässige Schmähkritik ein, die das Unternehmen in seinen Rechten verletze, weil die Formulierungen erkennen ließen, dass es dem Journalisten nicht vorrangig um eine Auseinandersetzung in der Sache, sondern primär um Diffamierung ging.

Wie entschied der BGH?

Dem folgte der BGH jedoch nicht, hob die Entscheidung des OLG Frankfurt auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung an das OLG zurück (BGH, Urt. v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14). Der BGH bewertet die unternehmenskritischen Äußerungen nicht als Tatsachenbehauptungen, sondern insgesamt als Meinungsäußerungen, die den verfassungsrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit genießen. Zwar enthielten die beanstandeten Äußerungen auch Tatsachenelemente. Insgesamt würden die Äußerungen aber durch subjektive Elemente, d.h., durch Elemente des Dafürhaltens und Meinens geprägt. Bei derartig gemischten Äußerungen habe die Meinungsfreiheit Vorrang, wobei hier im Rahmen einer Güter- und Interessenabwägung von Bedeutung war, dass die in der Kritik enthaltenen Tatsachen tatsächlich wahr waren: Der Journalist konnte belegen, dass die Magnete keine energieeinsparende Wirkung hatten und nach den Feststellungen des BGH frei erfunden und der bewussten Täuschung potentieller Kunden diente. Fazit des BGH: Eine wertende Kritik an der gewerblichen Leistung eines Wirtschaftsunternehmens ist in der Regel auch dann von der Meinungsfreiheit gedeckt, wenn sie scharf und überzogen formuliert ist; sie kann nur unter engen Voraussetzungen als Schmähkritik untersagt werden.

Praxishinweis:

Das Urteil des BGH ist eine weitere Muster-Entscheidung, in dem alle Facetten einer äußerungsrechtlichen Auseinandersetzung rechtlich beleuchtet werden. Das Urteil ist gut begründet und zeigt, wie schwer es im Einzelfall für Betroffene ist, gegen abwertende und kreditschädigende Äußerungen vorzugehen. Das Urteil zeigt auch einmal mehr, dass die Tendenz zur Meinungsfreiheit bei kreditgefährdenden Äußerungen mit den Instanzen bis zum BVerfG zunimmt. Werden Tatsachen mit Meinungsäußerungen – wie häufig – vermengt, so genießt die Meinungsfreiheit im Zweifel Vorrang. Im Wettbewerbsrecht gilt für die Zulässigkeit derartiger Äußerungen ein deutlich strengerer Maßstab zugunsten der Betroffenen. Das setzt aber ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Beteiligten voraus, dass in dem Fall des BGH nicht vorlag.