Rechtsdienstleistungen in Zeiten von Corona

27.07.2020

Sprunghafter Anstieg an Rechtsberatung

Die Corona-Pandemie stellt viele vor enorme wirtschaftliche Herausforderungen. Berufliche Existenzen stehen auf dem Spiel. Schnell wurden Rettungspakete geschnürt und Hilfsprogramme auf die Beine gestellt, um die wirtschaftlichen Folgen für Betroffene abzufedern. Zeitgleich ist der Bedarf an rechtlicher Beratung zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie in nahezu allen Rechtsbereichen sprunghaft angestiegen. Das reicht von existenziellen Rechtsfragen für Verbraucher in Bereichen wie dem Miet- oder Arbeitsrecht über das Reiserecht bis in Verästelungen des Unternehmensrechts. Im Rechtsmarkt hat man rasch auf diese Entwicklung reagiert. So bietet beispielsweise ein Rechtsschutzversicherer eine Rechtsberatungs-Hotline zu Coronarelevanten Rechtsfragen an, um kostenlose Erstberatung durch angeschlossene Rechtsanwälte zu vermitteln. Ein Legal-Tech-Anbieter stellt automatisiert Briefvorlagen für die Aussetzung von Mietzahlungen zur Verfügung. Kanzleien bieten ebenfalls Legal-Tech-Lösungen für ihre Mandanten an, in einem Fall Software für die automatisierte Errechnung und Beantragung von Kurzarbeitergeld. Im neuen „Corona-Recht“ tummeln sich aber auch viele nichtanwaltliche Rechtsberater, die sich wie andere Berater auch an das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) halten müssen. Da gelten auch in Corona-Zeiten keine Ausnahmen. Ein Verstoß gegen das RDG ist wettbewerbswidrig und kann von Mitbewerbern, Rechtsanwaltskammern und Verbänden abgemahnt werden. Dabei ist bereits die Werbung mit unerlaubter Rechtsberatung, etwa auf der Webseite, unzulässig. Doch was ist nach dem RDG in Zeiten von Corona eigentlich erlaubt und was nicht?

Möglichkeiten und Grenzen nach dem RDG

Das RDG regelt die Befugnis, in der Bundesrepublik Deutschland außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu erbringen und dient dazu, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen. Es ist ein Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt. Jeder, der Rechtsdienstleistungen erbringen will, muss sich auf eine Erlaubnisnorm innerhalb oder außerhalb des RDG stützen können. Das RDG ist dabei nach herrschender Ansicht nicht nur gegenüber Verbrauchern (B2C), sondern auch im Unternehmensverkehr (B2B) anwendbar. Dreh- und Angelpunkt für die Anwendbarkeit des RDG ist, ob eine Rechtsdienstleistung vorliegt. Rechtsdienstleistung ist nach § 2 Abs. 1 RDG jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald eine rechtliche Prüfung im Einzelfall erforderlich ist. Ist dies bereits der Fall, wenn etwa über Corona-Hilfsmaßnahmen beraten, die Antragstellung (teilweise) übernommen oder Korrespondenz mit Behörden oder Vertragspartnern geführt wird?

Es kommt auf den Einzelfall an

Zunächst gilt, dass allgemeine rechtliche Informationen rund um Corona-Hilfsprogramme, etwa in den Medien, auf dafür eingerichteten Plattformen oder in Informationsmitteilungen ohne Bezug zu einem konkreten Einzelfall nach § 2 Abs. 3 Nr. 5 RDG ausdrücklich zulässig sind. Das gilt auch für rechtlich schwierige Rechtsfragen, etwa zu den arbeitsrechtlichen Voraussetzungen für den Erhalt von Kurzarbeitergeld oder zur Antragspflicht im Insolvenzrecht, solange es sich um an die Allgemeinheit gerichtete Informationen handelt. Werden konkret Betroffene im Einzelfall beraten, etwa zu den rechtlichen Voraussetzungen zu Corona-Hilfsprogrammen, liegt in der Regel eine Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten i.S.v. § 2 Abs. 1 RDG vor. Häufig ist dabei zweifelhaft, ob dies eine rechtliche Prüfung erfordert und damit die Schwelle zur Rechtsdienstleistung erreicht. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 14.01.2016 – I ZR 107/14 – Schadensregulierung durch Versicherungsmakler) ist die (schematische) Anwendung von Rechtsnormen auf einen konkreten Fall noch keine Rechtsdienstleistung. Es muss eine weitere rechtliche Prüfung hinzukommen. Für eine Rechtsdienstleistung kommt es aber nur darauf an, ob diese – objektiv betrachtet – erforderlich ist. Unerheblich ist, ob die rechtliche Prüfung tatsächlich durchgeführt wurde. Einfache Rechtsauskünfte ohne weitergehende rechtliche Prüfung sind daher zulässig. Die Grenzen zur unzulässigen Rechtsberatung sind allerdings fließend. Denn es fehlen bislang allgemeingültige Abgrenzungskriterien, so dass es auf den Einzelfall ankommt. Hilfestellungen beim Ausfüllen eines Antragsformulars oder bei der Zusammenstellung von (auch rechtlich relevanten) Unterlagen sind nach der Rechtsprechung ebenso zulässig wie die Vorbereitung einer einfachen Mahnung (unstreitiger) Ansprüche oder einer Kündigung, z.B. eines Abonnement-Vertrages, wenn dafür kein Kündigungsgrund geprüft werden muss. Ist dafür aber eine Vertragsprüfung notwendig, etwa zu den Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung, liegt eine Rechtsdienstleistung vor. Dasselbe gilt für die Prüfung von gesetzlichen Voraussetzungen für coronabedingte vertragliche Leistungsstörungen, etwa im Rahmen des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19 Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 28.03.2020 (BGBl. I 2020, 569). Vertragsgestaltungen und in der Regel auch die Übernahme der rechtlichen Vertretung gegenüber Behörden oder Vertragspartnern stellt eine erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung dar. Auch Verhandlungen mit Vertragspartnern, z.B. über die vorzeitige Beendigung oder Aufhebung von Verträgen sowie mit Kreditinstituten sind in der Regel als Rechtsdienstleistung zu qualifizieren, es sei denn, es geht dabei um wirtschaftliche Fragen. So ist es ohne Erlaubnis nach dem RDG z.B. nicht zulässig, für einen Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag zu entwerfen oder für Kunden ausstehende Zahlungsansprüche geltend zu machen. Hingegen ist die Überlassung eines standardisierten Vertragsformulars mit dem Angebot, erforderlichenfalls beim Ausfüllen einfacher Angaben behilflich zu sein, nach der Rechtsprechung (OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.10.2010 – 6 U 64/10) noch keine Rechtsdienstleistung, es sei denn, bereits die Auswahl des passenden Formulars erfordert eine rechtliche Prüfung. Auch die schlichte Beitreibung von Forderungen ohne rechtliche Prüfung erachtet das BVerfG (Beschl. v. 20.02.2002 - 1 BvR 423/99, 1 BvR 821/00 und 1 BvR 1412/01 – Inkassobefugnis I) als kaufmännische Hilfstätigkeit an, für die keine Erlaubnis nach dem RDG erforderlich ist, es sei denn, sie erfolgt als eigenständige Geschäft, so dass dafür eine Inkassoerlaubnis nach § 2 Abs. 2 RDG erforderlich ist. Auch wer wie ein Schuldnerberater die Vermögensverhältnisse von Betroffenen prüft und Umschuldungen vornimmt oder mit Gläubigern wirtschaftlich verhandelt, erbringt keine Rechtsdienstleistung i.S.v. § 2 Abs. 1 RDG. Die rechtliche Bewertung einer Überschuldungssituation, insbesondere die Prüfung einer Verbraucherinsolvenz oder das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Insolvenzantrag nach dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insol-venz- und Strafverfahrensrecht (BGBl. I 2020, 569) erfordert indes eine rechtliche Prüfung und ist daher ohne RDG-Erlaubnis unzulässig.

Erlaubnis innerhalb und außerhalb des RDG

Liegt eine Rechtsdienstleistung i.S.v. § 2 Abs. 1 RDG vor, bedarf es einer Erlaubnis, entweder im RDG selbst oder in anderen Gesetzen, die auch in Zeiten von Corona eine große Rolle spielen. Die wichtigste Erlaubnisnorm im RDG ist § 5 RDG, der Rechtsdienstleistungen als Nebenleistung zu einer anderen nichtjuristischen Hauptleistung erlaubt. Dies ist einschlägig z.B. für Unternehmensberater, Steuerberater, Banken und Versicherungen, Sanierungs- und Schuldenberater, die neben ihrer – meist wirtschaftlich geprägten – Haupttätigkeit auch coronabedingte Rechtsberatung mit erbringen können. Für die Fördermittelberatung sieht § 5 Abs. 2 Nr. 3 RDG ausdrücklich vor, dass damit im Zusammenhang stehende Rechtsdienstleistungen als Nebenleistung erlaubt sind. Daneben ist in § 7 RDG ausdrücklich vorgesehen, dass Berufsverbände, Gewerkschaften oder Mietervereine ihre Mitglieder in Rechtsfragen rund um Corona beraten dürfen, wenn diese im Rahmen ihrer satzungsmäßigen Aufgaben anfallen. Rechtsdienstleistungen dürfen nach § 6 RDG auch innerhalb einer Familie, nachbarschaftlicher oder ähnlich enger Beziehungen erbracht werden, wenn dies unentgeltlich erfolgt. Ein Jura-Student mit frisch erworbenen Kenntnissen im Leistungsstörungsrecht darf somit für seine Eltern coronabedingte Rechtserleichterungen bei Dauerschuldverhältnissen nach Art. 240 EGBGB prüfen und die entsprechende Korrespondenz mit Vertragspartnern führen. Außerhalb des RDG sind besondere Erlaubnisnormen etwa für Steuerberater in § 3 StBerG (Beratung und Vertretung zu Steuererleichterungen, Stundung und Aussetzung etc.), Versicherungsmakler in § 34d Abs. 1 Satz 8 GewO (Beratung in Bezug auf coronabedingte Begründung, Änderungen oder sonstige rechtliche Prüfung von Versicherungsverträgen) oder für Versicherungsberater in § 34d Abs. 2 GewO vorgesehen.